09 | Datengrundlagen und Analysen

Vernetzung der Wildtierlebensräume

Vernetzte Wildtierlebensräume sind ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden Ökologischen Infrastruktur. Für den Kanton Bern und Solothurn wurde die Durchlässigkeit der Landschaft und die entsprechende Vernetzung der Lebensräume für Wildtiere kartiert und modelliert. Die Ergebnisse widerspiegeln die landschaftliche Vielfalt der Kantone, aber auch die unterschiedlichen Nutzungsintensitäten durch den Menschen. Basierend auf dem Methodentest sind Karten zur Durchlässigkeit und Vernetzung für die ganze Schweiz verfügbar.

  Beitrag
Charakter
Grundlage
Raumbezug
Ganze Schweiz
Datum
Dezember 2023

Ausgangslage

Die Durchlässigkeit der Landschaft für Wildtiere wurde vor über 20 Jahren erstmals für die ganze Schweiz ermittelt (Holzgang et al. 2001). Diese umfassende Studie erarbeitete die Grundlagen zum Raumbedarf von Wildtieren und leitete daraus die Durchlässigkeit der Schweiz für waldgebundene Wildtiere ab, aus der die wichtigsten Wildtierkorridore für die Schweiz hervorgingen. Diese Wildtierkorridore sind seither fester Bestandteil des Wildtiermanagements und der Raumplanung im Allgemeinen.

In der Zwischenzeit haben sich die Landschaft und ihre Nutzung weiter verändert. Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Vernetzung der Lebensräume von Wildtieren wurden zwar immer wieder untersucht, aber meist projekt- oder kantonsspezifisch. Es besteht ein dringender Bedarf an aktuellen, aktualisierbaren und gesamtschweizerisch konsistenten Grundlagen zur Vernetzung von Lebensräumen für Wildtiere. Nategra GmbH hat deshalb im Rahmen der Fachplanung Ökologische Infrastruktur des Kantons Bern und Solothurn die entsprechenden Methoden erarbeitet und anschliessend für die ganze Schweiz weiterentwickelt.

Referenz

Holzgang, O. et al. (2001). Korridore für Wildtiere in der Schweiz. Schriftenreihe Umwelt Nr. 326. BUWAL, SGW, Vogelwarte.


Zielarten

Als Zielarten wurden analog Holzgang et al. (2001) ausgeprägte Fernwanderer bzw. saisonal wandernde Arten berücksichtigt.

Zu diesen Arten gehören:

  • Rothirsch (Cervus elaphus),
  • Wildschwein (Sus scrofa),
  • Reh (Capreolus capreolus) und
  • Gämse (Rupicapra rupicapra).


Konzept

Die Vernetzung von Wildtierlebensräumen wurde in drei Schritten analysiert mit den entsprechenden Geodaten, nämlich:

  • Kartierung der aktuellen Lebensräume,
  • Kartierung der zugehörigen Durchlässigkeit und
  • Modellierung der entsprechende Vernetzung.

Die Lebensräume bilden die Grundlage für die Durchlässigkeit der Landschaft, die wiederum die Vernetzungsmöglichkeiten bestimmt. Aufgrund dieser inhaltlichen Abhängigkeiten wurden die Analyseschritte auch in dieser Reihenfolge durchgeführt und sind im Folgenden näher beschrieben.

Bild
Abb. 1: Übersicht der Analyseschritte.

Methode: Lebensräume

Für die Vernetzungsanalysen stand ein Raster der Lebensraumtypen mit einer räumlichen Auflösung von 10m und für das Jahr 2021 zur Verfügung.

Die Lebensraumklassifikation basierte auf der Grundlage der Bodenbedeckungsklassen von NARESO (Natürliche Ressourcen Schweiz, Nategra GmbH). Die NARESO-Bodenbedeckungsklassen wurden mit Hilfe eines trainierten Neuronalen Netzes (NN) erstellt. Als Erklärungsgrössen für den NN-Klassifikator dienten Sentinel-2 Multispektralreflektanzen, Sentinel-1 Radar, das Höhenmodell swissALTI3D von Swisstopo und das Vegetationshöhenmodell LFI. Die Trainings- und Auswertungsreferenzen stammten aus verschiedenen kuratierten Datenquellen und Feldbegehungen. Das umgesetzte NN ergab ein Klassifikationsraster mit einer Auflösung von 10 m und einer Klassifikationsgenauigkeit von 97%. Zusätzliche Lebensraumtypen wurden dann aus weiteren Datenquellen der Fachplanungen ÖI in das räumlich und zeitlich hochaufgelöste Raster eingepflegt.

Basisbonität

Jedem Lebensraumtyp wurde eine Basisbonität zugewiesen, welche die Wanderungsmöglichkeit mit Werten zwischen 0 (undurchlässig) und 100 (durchlässig) beschreibt.


Methode: Durchlässigkeit

Die Durchlässigkeit weist flächendeckend aus, wo und wie gut sich Wildtiere in der Landschaft bewegen können. Dazu wird die spezifische Eignung von Landschaftselementen für Wanderungen, aber auch die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit durch Störungen und Hindernisse erfasst (siehe Abschnitt «Konzept»).


Basisbonität

Jedem Lebensraumtyp wurde eine Basisbonität zugewiesen, welche die Wanderungsmöglichkeit mit Werten zwischen 0 (undurchlässig) und 100 (durchlässig) beschreibt.

Tab.: Lebensraumbonität
Nr. Lebensraum Basisbonität
1 Hohes Laubgehölz 100
2 Niedriges Laubgehölz 100
3 Hohes Nadelgehölz 100
4 Niedriges Nadelgehölz 100
5 Reben 40
6 Grünland 60
7 Feuchtwiesen-Weiden 60
8 Trockenwiesen-Weiden 60
9 Ackerland 60
10 Grosses Stillgewässer 0
11 Kleines Stillgewässer 50
12 Grosses Fliessgewässer 5
13 Mittleres Fliessgewässer 20
14 Kleines Fliessgewässer 90
15 Gletscher, Firn- und Schneefelder 10
16 Offenflächen 10
17 Fels 10
18 Siedlungsflächen 5
19 Bauten und Anlagen 0

Störungen

Störungen wirken sich hemmend auf die Wanderung von Wildtieren aus. Dementsprechend wurde die Basisbonität mit Störungsfaktoren, die sich linear aus den minimalen und maximalen Störungswerten errechnen, reduziert.

Tabelle: Störungen
Störung Definition
Gelände Hangneigung 45° - 70°
Strassenverkehr Durchschnittlicher Tagesverkehr 2'000 - 10'000 Fahrzeuge
Menschliche Präsenz Personendichte 10 - 50 Einwohner/ha
Mauern und Zäune Höhe 1m - 1,6m

Hindernisse

Hindernisse wirken als unüberwindbare Barrieren auf die Wanderung von Wildtieren. Dementsprechend wurde für Hindernisse unabhängig von Lebensraumtyp und Störung die Basisbonität auf 0 (undurchlässig) gesetzt. Dabei ist zu beachten, dass auch Störungen über ihrem Maximalwert als Barrieren wirken.

Tabelle: Hindernisse
Hindernis Definition
Gelände Hangneigung > 70°
Gebäude Höhe > 0m
Strassenverkehr Durchschnittlicher Tagesverkehr > 10'000 Fahrzeuge
Menschliche Präsenz Personendichte > 50 Einwohner/ha
Mauern und Zäune Höhe > 1,6m

Methode: Vernetzung

FDie Vernetzung von Wildtierlebensräumen beschreibt für jeden Standort, wie oft dieser aufgrund seiner Durchlässigkeit als Verbindung von Wildtierlebensräumen gilt. Die Berechnung der Durchlässigkeit basierte auf der Stromkreistheorie (engl. circuit theory). Die Durchlässigkeit wurde dabei als Widerstand interpretiert, den ein elektrischer Strom auf seinem Weg zwischen zwei Punkten (Lebensräume) erfährt. Für jedes Pixelpaar von Wildtierhabitaten wurde daher der Weg des geringsten Widerstandes berechnet und aufsummiert. Als Ausgangshabitate wurden Waldflächen verwendet, da die eigentlich benötigten Einstandsgebiete der Wildtierarten räumlich nicht zusammenhängend zur Verfügung standen.

Für die Berechnung der Wildtiervernetzung wurde die Softwareumgebung Omniscape verwendet, welche auf Circuitscape basiert. Dabei wurde jeweils die aktuelle Vernetzung auf Basis der Durchgängigkeit und die potenzielle Vernetzung auf Basis der Durchgängigkeit ohne menschliche Störungen berechnet.


Resultate

Kantonale Karten können bei Nategra GmbH bezogen werden (www.nategra.ch):

  • Rasterdatensätze zur aktuellen und potenziellen Durchlässigkeit der Landschaft: beschreiben, wo und wie gut sich Wildtiere bewegen können.
  • Rasterdatensätze zur aktuellen und potenziellen Vernetzung der Wildtierlebensräume: beschreiben räumlich explizit für jedes Pixel die Bedeutung für die Gesamtvernetzung der Landschaft und damit der ökologischen Infrastruktur.
  • Lebensraumareale: dienen der Berechnung der Vernetzung als Quelllebensräume, stellen aber auch zusammenhängende Lebensräume für Wildtiere dar.

Bild
Abb. 2: Vernetzung Wildtiere SO

Grundlegendes Dokument oder Quelle

Keine.



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